Vermutlich werden sich sehr wenige an den Start am 15. Juni 2019 erinnern? Es war ein Samstag und bestes E-Scooter-Wetter in Berlin. Bereits eine Woche später, auf meinem frühmorgendlichen Weg durch die Innenstadt, stachen mir die neuen Verkehrsteilnehmer von CiRC, Lime, Tier und VOi ins Auge. Interessanterweise konnte zum gleichen Zeitpunkt der private Nutzer nicht durchstarten, denn bis auf zwei sehr teure E-Scooter gab es noch keine Modelle zu kaufen bzw. das KBA fing erst an, Typengenehmigungen zu erteilen.
Weltuntergangsstimmung
An was sich aber sicherlich jeder erinnern wird, ist die darauf einsetzende hitzige und bisweilen hysterische Diskussion um das noch völlig unbekannte Elektrokleinstfahrzeug in Deutschland. Es wurden viele “Fachleute” aus allen Teilen der Wissenschaft, Forschung und Technik befragt. Natürlich waren sich bis auf wenige Ausnahmen alle sofort einig: NEIN das wird nix werden mit dem “bösen Wolf”, äh Leihscooter auf deutschen Straßen.
Deshalb bin ich rückblickend sehr froh, dass wir als Bundesverband 2019/2020 die Möglichkeit zum Statement oder Einladungen zu Fachtagungen erhalten haben, damit wir unsere Sicht der Dinge schildern konnten, um für mehr Verständnis und Aufklärung auf Seiten der Politik, Verbände, Presse und interessierten Bürgern zu sorgen.
Keiner kennt die Regeln!
Leider hat sich bis heute am Kern der Berichte nicht viel geändert, obwohl die Bilanz nach einem Jahr äußerst positiv ausfällt! Sicherlich sind die Emotionen ein wenig heruntergekocht, aber es geht weiterhin nur um die Verleiher und nicht um die Möglichkeit, den sich entwickelnden Privatverkehr zu fördern und einzugliedern. Die erst kürzlich veröffentlichte Pressemitteilung des DVR zum E-Scooter vermittelt, natürlich per Leihscooter, den sicheren Umgang mit dem Fahrzeug und empfiehlt die Kenntnis der geltenden Regeln. Lobend sei aber auch an dieser Stelle das hübsche Quiz erwähnt.
Für Jahr Nr. 2 würde ich mir wünschen, dass nicht nur wir als Verband, sondern auch von Seiten der verantwortlichen Verbände im Bereich Verkehrssicherheit mehr für aktive Aufklärung mit Veranstaltungen zum Thema getan wird. Auch wären regelmäßige Postings im Social Media Bereich zum Thema Mikromobilität ein zusätzlicher Schritt, um für mehr Akzeptanz des Elektrokleinstfahrzeugs und dem richtigem Umgang damit zu werben. Egal wie man es dreht, die Nutzer dieser Fahrzeuge sind ein Teil der Verkehrswende und sparen CO² mit dieser weiterhin noch unbekannten Art der Fortbewegung in Deutschland ein.
Natürlich beobachte auch ich beim Mitlesen in Social Media Gruppen, dass sehr viele Nutzer von E-Scootern die Regeln nicht kennen bzw. teilweise sogar falsche Antworten auf Fragen anderer geben. Liegt es nun am breiten Desinteresse, dem vermeintlichen Rowdytum unter E-Scooter-Nutzern oder weil seitens der Verantwortlichen schon seit einem Jahr sehr unzureichend aufgeklärt wurde? Nach meiner Wahrnehmung wurde nach dem Inkrafttreten der Verordnung das Thema vom verantwortlichen Verkehrsministers zu den Akten gelegt und in die Hände der Polizei gelegt. Diese übernimmt nun seit 12 Monaten den aktiven Part zur Aufklärung des mündigen Bürgers und erteilt regelmäßig Nachhilfe zu Themen wie Promillegrenze, Fahrzeugart und Gehwegverbot.
Mikromobilität gibts nur im Urlaub
Nun liegt ein Jahr EKFV hinter uns und wir sind gefühlt kein Stück weiter! Um aktiv vielseitige Mikromobilität zu erleben, muss man weiterhin über deutsche Grenzen hinausschauen. z.B. zu unseren innovativen Nachbarn nach Italien. Dort ist ähnlich lang wie in Deutschland, seit dem 4.6.2019, eine Regulierung (Deutsche Übersetzung) in Kraft mit der wir auf heimatlichen deutschen Straßen auch wunderbar umgehen könnten. Vor allem setzte man 2020 noch einen drauf und stellte wie in Österreich den e-Scooter mit dem Fahrrad gleich (Deutsche Übersetzung)
MonoWheel oder E-Scooter nutzen in Italien bereits medizinische Hilfskräfte, um z.B. schnell und direkt Medikamente während der aktuellen Corona-Pandemie an Patienten in ihren Häusern auszuliefern. Auch werden in Italien nicht nur PEDELECS mit Kaufprämien unterstützt, sondern auch Fahrzeuge mit und ohne Lenkstange.
Fahrzeuge ohne Lenkstange
1 Jahr EKFV bedeutet leider auch, der Gesetzgeber hat es bewusst verpasst seit 12 Monaten wichtige verwertbare Daten wie Unfallzahlen, Anwendungsbereiche und Nutzerverhalten von Fahrzeugen „ohne Lenkstange“ zu sammeln, weil die angekündigte Ausnahmeverordnung (ursprüngliche Quelle Instagram BMVI_DE, 27.02.2019, bereits gelöscht) für MonoWheels, Elektro-Skateboards, OneWheels und Hoverboards kurz vor dem Ziel gekippt wurde.
Wir hoffen weiter auf die komplette Umsetzung des Beschlusses der 948. Sitzung (Drucksache 332/16) vom 23. September 2016 im Bundesrat. In diesem wird die Bundesregierung auf Seite 3 aufgefordert, schnellstmöglich die verhaltens- und zulassungsrechtlichen Voraussetzungen für Elektro-Skateboards und anderen Fahrzeugen mit Elektroantrieb zu regeln.
Parallel zu dem äußerst zähen Gesetzgebungsprozess nehmen weiterhin alle Nutzer dieser Fahrzeuge in Kauf, dass sie auf deutschen Straßen als Straftäter zusammen mit anderen Elektrischen Rebellen unterwegs sein müssen.
Neues Projekt bis 2022
Um diesem Stillstand einen neuen Anschub zu geben, startet die BAST zusammen mit der TU-Dresden das neue Projekt „Wissenschaftliche Begleitung der Teilnahme von Elektrokleinstfahrzeugen am Straßenverkehr” und analysiert, inwieweit sich die Vorgaben des Verordnungsgebers zu Elektrokleinstfahrzeugen bewährt haben. Dabei sollen sowohl die in der EKFV geregelten Fahrzeuge als auch solche EKF mit vergleichbaren Eigenschaften, die nicht darunter fallen, aber ungeachtet dessen im Verkehr zu beobachten sind, betrachtet werden.
Dazu werden auch Erfahrungen aus dem Ausland (Wunsch von mir -> Italien Österreich, Frankreich, Belgien, Skandinavien oder Spanien) berücksichtigt. In 30, ja genau dreißig Monaten Projektlaufzeit wird besonders die Verkehrssicherheit von EKF, insbesondere das aktuelle Unfallgeschehen in Deutschland in den Fokus genommen. Über den Zeitraum von zwei Jahren werden Unfallursachenanalysen durchgeführt und Verletzungsmuster bewertet. Gleichzeitig sind Beobachtungen zum Verkehrsablauf, dem Nutzerverhalten und der Verkehrsflächennutzung geplant. Die Erkenntnisse des Projektes werden im dritten Quartal 2022 veröffentlicht.
Wer nun aufmerksam mitgelesen hat, fragt sich vermutlich, wie man „Unfallursachenanalyse, Verletzungsmuster und Beobachtungen im Verkehrsablauf“ mit Fahrzeugen ohne Lenkstange durchführen will, wenn sie gar nicht zugelassen sind? Spontan hätte ich folgenden Vorschlag: Lokale Ausnahmeverordnungen für die Länder oder Test-Strecken mit ausgesuchten Teilnehmern. In Bamberg hat es doch 2019 auch geklappt!
Jedenfalls freue ich mich darüber, dass uns seitens der BAST das Angebot zur Mitarbeit in einem Workshop unterbreitet wurde und wir hoffentlich in vollem Umfang die Erfahrung und das KnowHow der Community einfließen lassen können.
Ich bleibe ein Fan-Boy!
Trotzdem halte ich gerne auch in diesem Artikel überzeugt die Fahne hoch für Fahrzeuge mit und ohne Lenkstange und würde mir endlich von allen Seiten der Verantwortlichen einen offenen und etwas positiveren Umgang wünschen. Viel mehr noch -> “zeigen Sie Mut für neue Innovationen!”
Happy Birthday liebe Elektrokleinstfahrzeugverordnung!
Nicht aufgeben!!!
Auch wenn´s schwer fällt. Mußte mich auch wieder motivieren an unserer Sache dranzubleiben.
Es ist erst 1 Jahr vergangen! Einige Monte werden wir noch dranbleiben müssen. Schön wäre natürlich wenn wir noch mehr Gleichgesinnte hätten.
Jedenfalls wünsche ich alles Gute zum 1. Geburtstag und hoffe das noch viele Jahre folgen. Vielleicht auch mit mehr Erfolg. Ein Jahr ist noch nix. Des wird scho noch!
Grüße aus München.
Pitt
Danke, dass du die ganze Zeit bei uns bist!