Bei den Schlagwörtern Paris und E-Scooter kommt Ihnen sicherlich sofort die aktuell hitzige Diskussion im Zusammenhang mit der Bürgerbefragung und dem Verbot von Leihscootern in den Sinn. Kurzeitig verblasste in Deutschland sogar der Ukrainekrieg und die Klimadiskussion, weil alle wieder so richtig mit vollem Elan auf das schwarze Schaf im Deutschen Straßenverkehr einschlagen konnten.
Auf dieser immer wieder sehr dankbaren Bashing-Welle wollte vermutlich auch die Redaktion von „Report Mainz“ mitsurfen und strahlte am 18.04.2023 die x-te „Haudrauf“-Reportage mit den üblichen Protagonisten aus. Ich selbst muss zugeben, dass ich den Beitrag nicht live gesehen habe, sondern erst auf besonderen Hinweis einen Tag später reingeschaltet habe.
Leider muss ich nach Durchsicht des Beitrags feststellen: Es hat sich nach fast 4 Jahren E-Scooter in Deutschland an der medialen Meinungsmache bzw. Herangehensweise nichts geändert und so fördert auch diesmal die Report Redaktion nicht viel Neues ans Tageslicht, sondern bedient sich vielmehr in diesem 11-Minuten-Beitrag aller bereits bekannten Klischees und lässt die üblichen Protagonisten zu Wort kommen.
Schade, von einer öffentlich-rechtlichen Redaktion der ARD hätte ich etwas mehr Objektivität erwartet als ALTEN WEIN IN NEUEN SCHLÄUCHEN.
Vom Spreekapitän und FUSS e.V. bis Ulrich Deppendorf als prominentem Kopf der Nachrichtensprecher hielten sie alle zusammen für den deutschen Fußgänger die Lanze hoch im Kampf gegen die „bösen E-Scooter“ auf deutschen Straßen. Diesen Kampf führt die deutsche Gesellschaft nun bereits seit dem 15.06.2019 und ist leider weiterhin meilenweit davon entfernt, aus den Anfangsfehlern zu lernen, geschweige denn endlich das „gefühlte“ Wissen durch Fakten abzulösen.
Platz da, jetzt komm ich!
JA, auf dem Gehweg kommt auch mir mal ein E-Scooter entgegen, aber auch die Mutter mit Lastenrad incl. 2 Kindern oder die ältere Dame, die das Kopfsteinpflaster der Hauptstraße scheut. Ich will damit nur sagen: wir alle nutzen den Gehweg, wenn uns der Verkehr auf der Straße zu stark erscheint oder wir dort ggf. schneller und einfacher vorankommen.
Herrn Dedy vom Deutschen Städtetag kann ich nur wärmstens das Lesen unseres Beitrags „10 Gründe für Mikromobilität“ ans Herz legen, damit ihm zukünftig zum Thema Intermodalität und E-Scooter einige hilfreiche Vorschläge für diese neue Art der Fortbewegung in den Sinn kommen. Ich setze mal voraus, Herr Dedy hat seine eigene Studie bereits gelesen? Erster Absatz der “Kurzfassung” von Seite 6:
Zitat: E-Scooter sind eine noch junge Ergänzung des Verkehrssystems und haben sich weltweit zu einer alternativen Beförderungsform für die erste und letzte Meile für Stadtbewohnerinnen und Stadtbewohner entwickelt. Neben den Fahrten, die viele als bequem und sogar unterhaltsam beschreiben, bieten die Fahrzeuge auch eine nachhaltige Alternative zu weniger klimafreundlichen Verkehrsmitteln. Mit Gesamtemissionen über den Lebenszyklus, die weniger als die Hälfte der Emissionen eines mit fossilen Brennstoffen betriebenen Privatautos betragen – und die mit der Weiterentwicklung der E-Scooter-Herstellung und -Technologie weiter sinken – haben E-Scooter das Potenzial, Kohlenstoffemissionen im Verkehrssektor einzusparen. Einigen Schätzungen zufolge könnten gemeinsam genutzte Mikromobilitätsoptionen bis zu 50 Prozent bzw. 60 Prozent der Fahrten innerhalb von Städten in den USA und Deutschland ersetzen. Zitatende
Sicherlich könnte ich jetzt auch Herrn Scheuer als damaligen Verkehrsminister zur Verantwortung ziehen und fragen, was er sich damals mit seiner „halbherzigen Verordnung“ hat einfallen lassen. Aber vielmehr gebe ich die Frage „Wie geht’s weiter mit dem Elektrokleinstfahrzeug?“ an unseren aktuellen Minister Wissing und seine zuständige Staatssekretärin Kluckert weiter.
Gerade die FDP war es doch 2019, die sich mit einer gut gemeinten Debatte zur Legalisierung aller Elektrokleinstfahrzeuge hervortun wollte. Im Beitrag kommt dies weder zur Sprache noch wird die aktuelle Haltung des BMDV zum E-Scooter hinterfragt! Oder welche aktuellen Studien es von Seiten des BMDV dazu gibt? Genau beim Thema neue Studien geht man lieber im FDP geführten Ministerium auf Tauchstation.
Nein, lieber fremdelt man von Seiten der Berichterstatter mit dem Verhalten der Verleiher, welche vorsichthalber einen PR-Berater zum Interview hinzuziehen und zweifelt an, dass es in Düsseldorf nur einen auf der Seite liegenden E-Scooter an diesem Tag der Dreharbeiten gab. Dass Abstellzonen generell für Leihfahrzeuge immer kleiner werden, beobachte ich z.B. auch im Bereich Carsharing.
Nach Scheuer kam Wissing
Natürlich sichert sich in dieser völlig überhitzten Diskussion jeder Befragte nach allen Seiten ab und Herr Dedy kann sich deshalb an keinen Grund zum intermodalen Einsatz des E-Scooters erinnern, um womöglich sogar einmal persönlich mit dem E-Roller zu fahren. Niemand will in diesen Bashingstrudel reingezogen werden und deshalb stellt man sich lieber auf die Seite der Steineschmeißer als auf die Seite derer, die für einen positiven Umgang mit diesem Fahrzeug werben.
Auch werfe ich den verantwortlichen Redakteuren vor, dass sie vorab bereits mit einer vorgefertigten negativen Meinung in die Berichterstattung eingestiegen sind. Sonst hätte man vermutlich auch neben Uta Bauer zusätzlich einige Privatanwender nebst Nutzern von Leihscootern zu Worte kommen lassen. Frau Bauer war die Einzige, die klar zum Ausdruck brachte, dass Elektrokleinstfahrzeuge sehr wohl eine Alternative zum Auto sein können, wenn sie richtig eingesetzt werden. Eher wurden Deppendorf und Dedy mit ihrer gefühlten plakativen Wahrheit mehr Redezeit gewährt, als den klaren Fakten der Verkehrsforscher.
Gerade für Punkte wie z.B. Abstellzonen, Geofencing (Geschwindigkeitsdrosslung) und Begrenzung der Anzahl von Leihscootern hätte man mehr Sendezeit verwenden sollen. Und warum diese seit fast 4 Jahren noch immer nicht einheitlich von Städten und Kommunen umgesetzt wurden bzw. dass das KBA dem Geofencing bis heute einen Riegel vorschieb. Das Verkehrsschild „eKF frei!“ wird z.B. so gut wie gar nicht auf deutschen Straßen genutzt und ist ein schönes Beispiel, wie die Bürokratie wieder einmal die Realität überschattet.
Life of Brian “Jehovah”
Deshalb empfinde ich die Aussage im Beitrag von Herrn Jülich, dass in Nürnberg Wild-West und Chaos im Zusammenhang mit abgestellten E-Scootern regieren, eher als ein Armutszeugnis für die Stadt als einen Vorwurf Richtung ansässiger Verleiher. Jeder Vertreter von Lime, Tier, Bolt etc. wird sicherlich ein Lied davon singen können, wie lang und zäh sich Verhandlungen in den dafür zuständigen Gremien gestalten, bis sich jeder der Beteiligten in seiner lokalen Verordnung wiederfindet und ein finaler Entwurf dazu vorliegt.
Auch 2019 wurde In Vorbereitung zur Einführung der Elektrokleinstfahrzeug-Verordnung jeder Teilnehmer an der damaligen Verkehrsministerkonferenz nach seiner Meinung gefragt. Nun – 4 Jahre später – Andi Scheuer wieder aus dem Sack zu ziehen und als Schuldigen an den Pranger zu stellen ist zu einfach und unseriös.
Fingerpointing macht sicherlich viel Spass, aber sollten wir uns nicht den offenen Fragen zu diesem Thema stellen? Warum kennen wir bis heute nicht die Gesamtzahl der E.Scooter, die auf deutschen Straßen fahren? Warum denken wir die eKFV nicht weiter, erweitern diese um zusätzliche hilfreiche Paragraphen oder entschärfen an anderen Stellen? Ich meine jetzt nicht Vorschläge wie die Drosselung von 20 auf 15km/h und Einführung einer Helmpflicht. Oder warum fahren noch immer andere Mikrofahrzeuge in der Republik ungeregelt umher, wenn man diese vermutlich schnell und einfach in die aktuelle eKFV eingliedern könnte und so deren Nutzer reguliert und versichert am Straßenverkehr teilnehmen könnten? Nein, wir diskutieren lieber weiter und suhlen uns in bekannter deutscher Rechthaberei.
Solange 50 Millionen Autos in Deutschland den meisten Raum der Straße einnehmen, müssen wir uns nicht wundern, dass an anderer Stelle der wenige Raum incl. Gehweg für die stetig wachsende Anzahl von kleinen und leichten Fahrzeugen zum Kriegsgebiert erklärt wird! Zum Thema Auto raus! war auch 2020 wieder Paris Vorreiter, was damals in Deutschland als völlig unmöglich umsetzbar galt.
Machen ist wie Reden, nur krasser!
Ja, Paris will die Leihscooter einschränken, abschaffen oder whatever. Aber warum müssen jetzt alle anderen überzeugten E-Scooter-Nutzer in Sippenhaft genommen werden, wenn ein paar hirntote Verkehrsrowdies mit ihrem Fahrzeug über die Stränge schlagen? Ähnlich wie in Paris wo lediglich 96.200 der rund 1,3 Millionen wahlberechtigten Einwohner der Stadt für ein Verbot der E-Scooter gestimmt haben. Vermutlich sind es eher die E-Scooter-Gegner, die die Fahrzeuge in den Rhein oder die Spree schmeißen und nicht jene, die ein Foto vom Abstellvorgang machen und für ihre Fahrt bezahlen. Geschweige denn jene privaten Nutzer, die ihren Scooter überhaupt nicht auf dem Gehweg parken, zuhause laden und intermodal in Bus/Bahn nutzen.
Haben wir uns 2018 nach dem Aus von Obike auch die Frage gestellt, ob wir lieber gleich alle Leihfahrräder verbieten wollen, weil diese nun nutzlos auf dem Gehweg rumgestanden haben? Wo waren die Herren Stimpel oder Deppendorf damals? Lieber Report Mainz, bitte verwenden sie meine GEZ Gebühren für mehr Objektivität. Gerne lade ich Sie ein, bei uns im Verband nach Meinung und Erfahrung zu diesem Thema zu fragen.
Beste Grüße an Report Mainz.
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