Folgen wir Finnland!

von | 07.05.2021 | Europa, News | 0 Kommentare

Hier und heute wollen wir als Bundesverband Elektrokleinstfahrzeuge positiv in die Zukunft schauen indem wir uns ein Beispiel daran nehmen, wie es dem EU-Mitglied Finnland bereits vor Jahren gelang, Bürokratie abzubauen, einfache und verständliche Regelungen für Elektrokleinstfahrzeuge zu erlassen und diese neue Form der Mikromobilität so zu einer nationalen Erfolgsgeschichte zu machen.

Seit dem 1. Januar 2016 hat Finnland Elektrokleinstfahrzeuge mit Fahrrädern gleichgestellt und beweist so als Europas Vorreiter, wie wunderbar einfach die Verkehrswende sein kann. Wer sich zum Vergleich gerne die bescheidenen Versuche Deutschlands vor Augen führen möchte, Elektrokleinstfahrzeuge zu legalisieren, der kann in diesem verlinkten Artikel darüber nachlesen. [Vorsicht! Gefahr von Fassungslosigkeit].


Aber wie gesagt: Hier und heute laden wir Sie – und auch die Bundesregierung – herzlich ein, dem guten Beispiel Finnlands zu einer echten Verkehrswende zu folgen.


Los geht’s!

Wer wissen möchte, wie Finnland es möglich machte, neben E-Scootern auch Hoverboards, Elektrische Skateboards, OneWheels, Elektrische Einräder und jede weitere erdenkliche Form künftiger Mobilität zu legalisieren, der kann sich dies schnell und einfach von den hilfsbereiten Mitarbeiter/-innen des zuständigen Transport- und Kommunikations-Ministeriums, dem LVM, erklären lassen.

Saara Reinimaki, Generaldirektorin der Abteilung Automatisierung und somit zuständig für alle Arten von Fahrzeugen, beantwortete unsere Fragen nett und kompetent:

“Im Frühjahr 2013 beschloss die EU zwei Regulierungen [EU N:o 167/2013 und EU N:o 168/2013], um bisherige 41 Direktiven zu Fahrzeugen und ihren technischen Anforderungen zu ersetzen. Die Idee dieser Reform war, die gesetzliche Regulierung zu vereinfachen.”

Die Förderung von Elektrokleinstfahrzeugen [nachzulesen im Gesetzesentwurf] beschloss das finnische Parlament im Herbst 2015 auch deshalb, weil das Potential der Fahrzeuge in einer Zukunftsstudie namens “Hundert neue Möglichkeiten in Finnland: Radikale technische Lösungen” klar benannt wurde.

Zukunfsstudie

Mehr als nur Gummistiefel

Schon einmal hatte Finnland mit dem Mobilfunkpionier Nokia bewiesen, dass ein kleines Land eine weltweite Vorreiterrolle einnehmen kann. Und so wurden in der besagten Studie 100 Formen von Technologien benannt, die der vergleichsweise kleinen Nation eine Chance auf eine erneute Erfolgsgeschichte dieser Art bieten könnten.

Wie Saara Reinimaki weiter präzisiert, kamen Elektrokleinstfahrzeuge nur deshalb in diese privilegierte Auswahl an Zukunftstechnologien, weil sie neben ihrem geringen Platzbedarf und ihrem geringen Unfallpotential auch keinerlei Abgase ausstoßen. Kleine Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor sind demnach in Finnland weiterhin als Kraftfahrzeuge reguliert und sie bleiben von den hier vorgestellten Reformen ausgenommen.

Um also die neuen Formen der Elektromobilität so einfach wie möglich zu regulieren, wurde entschieden, die langsamen Varianten bis 15 km/h dem Zufußgehen und die etwas schnelleren Varianten bis 25 km/h dem Radfahren gleichzustellen. Eine detaillierte Übersetzung der englischsprachigen Regelungen finden Sie hier, doch auch diese grafische Darstellung der Verkehrsbehörde Traficom erklärt die genial einfachen Regelungen:

5 Jahre Erfahrung

Wenn also die Finnen über mehr als 5 Jahre Erfahrung mit Elektrokleinstfahrzeugen verfügen, dann haben sie demnach auch eine Menge praktischer Erfahrung mit positiven wie negativen Begleiterscheinungen der elektrischen Mikromobilität sammeln können. Wir haben deshalb den Leiter der Abteilung Verkehrssicherheit Helsinki, Superintendent Jari Kaikko zu seinen Erfahrungen befragt, die er täglich in der Finnischen Hauptstadtregion mit etwa 1,5 Millionen Einwohnern macht:

Übersicht TRAFI

Electric Empire: Superintendent Kaikko, können Sie uns sagen, wie viele Elektrokleinstfahrzeuge es in der Hauptstadtregion Helsinki gibt?
Jari Kaikko: Wir wissen es nicht. Elektrokleinstfahrzeuge gelten rechtlich als Fahrräder, und sie müssen daher nicht registriert oder versichert werden. Auch Statistiken über Verkaufszahlen liegen uns nicht vor.


Electric Empire: Welche Arten von Elektrokleinstfahrzeugen sehen Sie denn am häufigsten in Helsinkis Straßenverkehr?
Jari Kaikko: E-Scooter und elektrische Skateboards sind die Fahrzeuge, deren Nutzung wir am häufigsten beobachten.

Keine offizielle Statistik

Electric Empire: Wie schätzen Sie dabei das Mengenverhältnis von kommerziellen Leihscootern zu privat besessenen Elektrokleinstfahrzeugen in Helsinki ein?
Jari Kaikko: Darüber haben wir, wie gesagt, keine offizielle Statistik, aber was wir im Alltag beobachten ist, dass in der Innenstadt vermehrt Leihscooter fahren. In den Vororten Helsinkis sieht man wiederum hauptsächlich privat besessenene Fahrzeuge. In den meisten Fällen werden die Fahrzeuge dabei offenbar für die Überbrückung von Kurzstrecken eingesetzt.

Electric Empire: Wie beurteilen Sie die grundsätzliche Verkehrssicherheit von Elektrokleinstfahrzeugen? Gibt es nach Ihrer Ansicht Unterschiede zu beobachten, wenn Sie Fahrzeuge mit Lenk- und Haltestange wie z.b. E-Scooter mit lenkstangenlosen Fahrzeugen vergleichen, so zum Beispiel den Vertretern Hoverboard, elektrisches Skateboard, OneWheel und elektrisches Einrad / EUC?
Jari Kaikko: Es gibt mit keinem dieser Fahrzeugtypen vermehrte Unfälle. Lediglich die Fahrer von E-Scootern tauchen nennenswert in den Unfallstatistiken der Krankenhäuser auf, und dies vor allem während des Sommers. In den meisten Fällen handelt es sich dabei um Kunden von Sharing-Anbietern, die sich nach einem Kneipen- oder Restaurantbesuch im angetrunkenen Zustand ein solches Fahrzeug ausleihen. In diesem verkehrsuntauglichen Zustand fahren sie dann herum, sie stürzen und sie verletzen sich dabei. Glücklicherweise werden dabei nur äusserst selten weitere Verkehrsteilnehmer in Mitleidenschaft gezogen.


Electric Empire: Gibt es neben dem Punkt der Unfallzahlen weitere Punkte, in denen Sie Unterschiede bei der Nutzung von privat besessenen Elektrokleinstfahrzeugen und Leihscootern erkennen können?
Jari Kaikko: Ja, ein großer Unterschied liegt darin, dass Leihscooter oftmals unsachgemäß abgestellt werden. Sie stehen herum, blockieren die Wege für andere Verkehrsteilnehmer wie Fußgänger und Radfahrer und somit entstehen manches Mal gefährliche Situationen. Bei privat besessenenen Elektrokleinstfahrzeugen haben wir dieses Problem nicht, denn diese Fahrzeuge bleiben immer in der direkten Nähe ihres Besitzers.


Electric Empire: Werden Elektrokleinstfahrzeuge auch in Kombination mit Helsinkis öffentlichen Verkehrsmitteln genutzt und können Sie eine Verringerung in der Nutzung privater PKWs feststellen?
Jari Kaikko: Elektrokleinstfahrzeuge können von Reisenden in Fern- und Regionalzügen mitgenommen werden. Wenn sie klein und handlich genug sind, dann können diese Fahrzeuge auch in Straßenbahnen und Bussen mitreisen. Eine deutliche Reduzierung des Autoverkehrs in Helsinki ist allerdings bisher noch nicht festzustellen.

Zukunftssicher gestalten

Electric Empire: Hat die seit einigen Jahren neu entstandene Klasse der Elektrokleinstfahrzeuge bereits praktische Auswirkungen darauf, wie Helsinkis Städteplaner den vorhandenen Raum zukunftssicher gestalten? Wir denken da speziell an Vorzeigeprojekte wie Helsinkis ‘Baana’ für Fußgänger, Radfahrer und eben auch Nutzer von Elektrokleinstfahrzeugen…

Helsinkis ‘Baana’

Jari Kaikko: Ob die elektrischen Fahrzeuge die Stadtplanung von morgen konkret beeinflussen werden, das können wir bisher noch nicht mit letzter Sicherheit sagen. Aber im Rahmen unserer grundsätzlichen Verkehrspolitik, die darin besteht, den Einsatz von Verbrennungsmotoren zu reduzieren, können Elektrokleinstfahrzeuge sicherlich einen Teil der Lösung bedeuten.

Europäische Vorreiter

Electric Empire: Finnland war mit Beginn des Jahres 2016 DER Europäische Vorreiter in Sachen elektrischer Mikromobilität. Welches Zwischenfazit ziehen Sie für Ihre Abteilung Verkehrssicherheit der Polizei Helsinki nach so vielen Jahren der praktischen Erfahrung?
Jari Kaikko: In den meisten Teilen der Stadt und zu den meisten Tageszeiten sehen wir die Nutzung von Elektrokleinstfahrzeugen als eine gute Wahl. Wenn es die genannten nächtlichen Ausreißer nicht gäbe, in deren Verlauf Betrunkene sich unverantwortlich verhalten, dann gäbe es eigentlich überhaupt keine Probleme. Wir sehen den größten Gewinn für die Allgemeinheit, wenn die Nutzer von Elektrokleinstfahrzeugen einen Helm tragen, wenn die Fahrzeuge über ausreichende Beleuchtung verfügen und wenn sie mit angemessenen Geschwindigkeiten bewegt werden. Um die angesprochenen Probleme mit Leihscootern anzugehen wird aktuell diskutiert, die Betreiber dazu zu verpflichten, ihr Angebot zeitlich und räumlich so zu beschränken, dass die Unfälle durch betrunkene Sharing-Nutzer künftig reduziert werden können.


Electric Empire: Superintendent Kaikko, wir bedanken uns herzlich, dass Sie sich die Zeit genommen haben, unsere Fragen so freundlich und kompetent zu beantworten!


Vision Zero

Diese durchweg positive Einschätzung aller Formen elektrischer Mikromobilität zieht sich im Übrigen durch alle Institutionen: weder das angefragte Ministerium LVM, noch die Verkehrsbehörde Traficom noch die wissenschaftlichen Erhebungen zu den Unfallzahlen geben Anlass dazu, die sehr einfache und verständliche Regulierung als Fußgänger und Fahrrad in Frage zu stellen. Im Gegenteil: blickt man auf die Unfallstatistik des Jahres 2019, so erreichten nur die zwei Europäischen Hauptstädte Helsinki und Oslo das Ziel ‘Vision Zero’ – also die Zahl von Null Verkehrstoten pro Jahr.

Maßgeblich für diesen herausragenden Erfolg beider Städte war zum einen der räumliche Schutz von Fußgängern, Radfahrern und Nutzern von Elektrokleinstfahrzeugen, zum anderen gelten in beiden Metropolen strenge Geschwindigkeitsbegrenzungen für Autos, LKW und Motorräder. Denn diese schnellen und schweren Fahrzeuge stellen die mit Abstand grösste innerstädtische Bedrohung für Fußgänger, Radfahrer und Nutzer elektrischer Mikromobilität dar, schwer oder gar tödlich zu verunglücken.

Wer bremst gewinnt

Hier ein dazu passendes Statement des Experten Roger Dötenbier, Leiter des ADAC-Fahrsicherheitstraining:

Bremsweg bei 30, 50, 70 km pro Stunde, wie sehr die Geschwindigkeit von KFZ den Bremsweg beeinflusst.

Lesson learned?

Abschließend möchten wir alle Interessierten an den Punkten Verkehrssicherheit, umweltschonende Mobilität und Verkehrswende ermutigen, sich weiter dahingehend zu engagieren, dass auch Deutschland bald von sich behaupten kann, so sichere und zukunftsfähige Verkehrskonzepte zu realisieren, wie der Vorreiter Finnland dies schon seit vielen Jahren tut.


Diskutieren Sie mit Electric Empire, kontaktieren auch Sie die hier zitierten Quellen aus Finnischer Politik, Verwaltung und Verkehrssicherheit und lassen Sie sich von den dort gewonnenen Erfahrungen überzeugen. Alle Gesprächspartner verfügen über ausgezeichnete Englischkenntnisse und – was noch weit ungewöhnlicher ist – selten sind wir auf so freundliche und gesprächsbereite Experten der gelebten Verkehrswende gestoßen.


Na dann, Folgen wir Finnland!

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